Radfahren ist für mich nicht nur ein sportliches Vergnügen. Ich fahre Rad, weil ich so mit vielen Sinnen meine Umgebung wahrnehmen kann. Im Winter ist bei mir die Freude an langen Touren deutlich eingeschränkt. Es bleibt das Alltagsradfahren.
Bei unserer Radtour nach Rom nahmen wir den Splügen-Pass. Ein Etappenziel war das Gasthaus an der Rofflaschlucht in Andeer. Auf dem Weg dorthin habe ich meine Mitradler genervt, weil ich unbedingt die kleine Kirche St. Martin in der Filialgemeinde Zillis anschauen wollte. Wenn meine Freunde auf dem Weg in den Süden im See schwimmen wollten oder einen Kaffee trinken, dann trieb ich sie zur Eile. Ich wusste, die Kirche schließt um halb sechs.


In dem schlichten gotischen Kirchenraum sieht man die Kassettendecks zunächst nicht. St. Martin mit seiner Kirchendecke und der Holzmalerei wird auch als „Sixtina der Alpen“ bezeichnet. Auf den Holztafeln wird die Heilsgeschichte in verschiedenen Szenen dargestellt.
An Weihnachten gibt es nur ein schlichtes Motiv. Jesus ist in Windeln gewickelt und liegt einem Futtertrog. In den Trog stecken Ochs und Esel ihre Köpfe. Keine Maria ist zu sehen und kein Josef. Über dem Kopf des Kindes ist die Weihnachtssonne halb zu sehen.
In dieser schlichten romanisch-inspirierten Holzmalerei entfaltet sich der Kern der Weihnachtsbotschaft. Im Mittelpunkt steht das Kind. Wie damals üblich ist das Kleinkind fest gewickelt, es ist wie jeder Mensch eingebunden in die Zwänge, Normen und Erwartungen seiner Zeit. So lässt sich Gott in Jesus auf Menschenleben ein.

Ursprünglich sind Ochs und Esel ein Hinweis auf Juden- und Heidenchristentum. Heute möchte ich die Tiere an der Krippe anders deuteten. Ich verstehe die Anwesenheit von Ochs und Eselin als Hinweis, dass Jesus für alle, auch für alle Kreatur gekommen ist.
Die Weihnachtssonne zeigt das Licht, das dieses Zur-Welt-Kommen Gottes bedeutet. Der Gottessohn bringt Licht in die Dunkelheit und Glanz in unser Leben.
Mich erinnert der eingewickelte Jesus an den in Leichentüchern eingewickelten toten Christus. Der Trog ruft bei mir Erinnerungen an das Grab Jesu hervor. Vielleicht haben die Maler oder die Theologen die Verbindung von Menschwerdung und Sterben Jesu erinnern wollen. Wenn Gott in Jesus Mensch wird, dann bis zur letzten Konsequenz. Er nimmt auch den Tod auf sich. Jesus stirbt für uns.
Diese heilgeschichtliche Deutung der Geburt Jesu erkenne ich auch ganz unten an dem Bild. Der Trog steht auf Wellen? Oder ist das Heu? Wenn ich diese Wellen als Wasser deutet, so wird der Trog mit dem Jesuskind zu einer Art von Arche. Eine Arche, die Menschen rettet. Oder ist das zu weit hergeholt?
Mir hilft jedenfalls dieses schöne Weihnachtsbild zu verstehen: Jesus macht mein Leben hell. Er verwandelt mich und alle Kreatur.
Frohe Weihnachten.