In Berlin konnte ich meine Frau nicht überzeugen mit dem Rad durch die Stadt zu fahren; das war ihr zu gewagt. So waren wir viel zu Fuß unterwegs und manchmal mit Bus und U-Bahn. Wir sahen die Dinge, die man in Berlin so anschaut: Spaziergang vom Alex über Nikolaikirche und Humboldforum, an russischer und amerikanischer Botschaft vorbei zum Brandenburger Tor; Reichstag, Holocaustgedenkstätte, Gedenkstätte für verfolgte Sinti und Roma, Unter den Linden. Diesmal besuchten wir nicht das jüdische Museum, sondern das Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße, in der ehemaligen Reformsynagoge. Es bewegt uns jedesmal die Lebensgeschichten von geachteten Menschen zu lesen, die ihm Faschismus entrechtet, beraubt und verfolgt wurden; einigen gelang die Flucht oder das Überleben, Millionen wurden ermordet. Im Centrum hörten wir filmische Interviews mit geretteten Menschen. Berührend und Mahnend.
Auch weil andere Museen nicht zugänglich waren, besuchten wir das kaum besuchte Bodemuseum auf der Museumsinsel. Auch in Berlin gibt es das Phänomen, dass sich alle Leute Nofrete ansehen wollen, den Pergamon-Altar und was sonst noch auf den Listen steht, was man gesehen haben soll. Andere Kunstwerke werden übersehen und so erlebten wir einem schönen Vormittag im Bode. Es hat eine der besten Sammlungen christlicher Kunst. Ich möchte einige Christusdarstellungen aus 1500 Jahren zeigen und dazu meine Gedanken springen lassen.
Das erste Christusbild ist eine Tafel aus dem Flügelaltar Ende des 15.Jhds und zeigt die Beschneidung Jesu. Es war der Christenheit bewusst, dass Jesus eingeborener Jude war. Daneben ein Mosaik aus dem 6. Jhd das Mitte des 19. Jhdts der Kaiser in einer zerstörten Kirche in Ravenna erwarb. Leider hat ein venezianischer Mosaizist bei der Renovierung das Werk „verschlimmbessert“. Ungewöhnlich, dass Christus unten als Weisheitslehrer (ohne Bart) abgebildet ist und oben der semitische Christus mit Bart.
Nur auf Abbildungen und noch nie direkt vor meinen Augen in einer Vitrine sehe ich aus Metz aus der karolingischen Zeit Darstellungen Christi aus Elfenbein.
Sehr schön ein „Buchdeckel“ (?) aus Elfenbein mit Christus und den wichtigen heilsgeschichtlichen Szenen aus seinem Leben: Geburt, Taufe, Einzug, Verklärung, Kreuzigung, Kreuzabnahme, Beweinung Christi, Christus in der Unterwelt, Himmelfahrt, Pfingsten; kann auch als Kalender gelesen werden.
Ich entdecke ein rätselhaftes Christusrelief auf einem Pferd begleitet von zwei Engel. Ähnliches habe ich auf Kapitellen in frühchristlichen Kirchen in Apulien gesehen. Jesus und Engel als Schutz? Auch das schöne Mosaik erinnert an byzantinische Mosaiken in Sizilien, er segnet und weist auf das Evangelium hin.
Ein ganz anderer Christus begegnet in der Gotik:
Es ist bekannt, dass in der Gotik der Gekreuzigte stärker in den Mittelpunkt rückt, allerdings wird das Kreuz nicht nur als Leiden gedeutete, sondern auch als Heilszeichen. In diesen vier Versionen scheint das Gefühl stärker angesprochen zu sein. Der traurig-melancholische Christus mit Spuren seiner Folter. Oft sieht man den toten Jesus auf dem Schoß Mariens, hier wird er von dem trauernden Vatergott gehalten. Kritisch sehe ich die bildliche Darstellung Gottes, mich rührt sein zärtliches Halten des toten Sohnes und seine Trauer. Aus Franken kenne ich den Christus, der auf einem Esel reitet und segnet. Nicht hoch zu Ross, auf dem Rad der Antike kommt Jesus zu uns.
Am anrührendsten finde ich Jesus und Johannes. Mit Liebe und Zartheit hält Jesus die Schulter und Hand des Jüngers, den er liebte. Wer möchte bei Jesus nicht so geborgen ruhen? Diese Skulptur wurde im Bodenseeraum bei einem Frauenkloster gefunden. Innige, mystische Liebe zu Jesus.
Nahe Oranienburger Straße aßen wir lecker Humus in einem vegetarisch-koscheren Restaurant. Nach dem Besuch der Synagoge besuchten wir die Ruine der Gedächtniskirche mit dem modernen Bau des Architekten Egon Eiermann. Der im Krieg zerstörte Bau des Architekten Karl Schwechten steht mit den Resten des Turmes als Mahnmal da. Im Innern ist das neoromanische an normanisch-sizilianische Vorbilder erinnernde Christusmosaik zu sehen. Die verputzen Risse erinnern an die Spuren der Verletzungen im eigenen Leben, sie erinnern aber auch an das Leiden im Krieg.
Steffi und ich sind tief beeindruckt von dem Blau des modernen Kirchbaus. Wer von draußen kommt ist in einer anderen Welt und so sollen sakrale Röume wirken, mich entführen aus dem Alltag um etwas von Gottes Geist mit allen Sinnen erfahren zu können. Das ist Eiermann mit Hilfe der Werkstatt aus Chatres, die die Glasfenster gemacht hat, wunderbar gelungen.
Die schwere Auferstehungsfigur von Karl Hemmeter, gestiftet von dem damaligen Bischof Otto Dibelius wirkt in dem blauen Innenraum. In ihrer Haltung erinnert sie an den Gekreuzigten, aber auch an den segnenden Christus. Der Auferstandene schenkt nach Krieg und Leid Hoffnung, erinnert an etwas, was dem modernen Menschen fremd ist im christlichen Glauben: es gibt mehr als das, was wir sehen. Gott schafft neues Leben durch den Tod.