Begegnungen mit Bornemann, Barlach und dem Fahrradkantor -von Wismar nach Güstrow

Meine Freude Rad zu fahren, hielt sich in Grenzen. Am 31.7. startete ich bei 12 Grad und bedecktem Himmel. In Wismar holte ich mein Rad aus dem vorbildlichen Abstellraum des Hotels Townhouse – sogar mit Werkstatt und Waschraum für Räder. Erst Richtig Rostock auf guten Wegen, dann Richtung Südosten wurde die schmale Straße ruckelig: Pflaster, loser Untergrund, Gegenwind und Nieselregen. Mein Schnitt sank bis Neukloster auf 20 km. Leute, das ist anstrengend.

In Neukloster war die alte Zisterzienserkirche leider zu. Aber ich wusste mir zu helfen und klopfte an ein benachbartes Haus. Eine junge Frau, die ihren Bundesfreiwilligendienst macht, gab mir den Schlüssel. So konnte ich die im 19. Jahrhundert erweiterte Gemeindekirche bestaunen. Noch erhalten sind Teile der Glasfenster aus dem 15. Jahrhundert.
Nach einem Blick auf die Karte nahm ich die Landstraße Richtung Güstrow und sparte einige Kilometer und weitere Pflastersteine. 20 km bis Bukow lief es trotz Seitenwind richtig gut. Ich kam in Tritt, der Verkehr war gering und ich konnte den Schnitt auf 22 km heben. Entgegen meiner naiv-süddeutschen Vorstellung ist MV keineswegs flach, sonder wellig und ich sammelte auf 56 km mehr als 300 Höhenmeter.
Dann wurde die Straße richtig schön, ich fuhr fast 10 km entlang eines alten Kanals; unterwegs traf ich zwei Feldhasen, zwei Schwäne und einige Pferde. Wenig Radfahrer, mag auch am Wetter gelegen haben, denn es regnete immer wieder leicht. War etwas durchgefroren als ich in Güstrow ankam und auf den Plastersteinen zur Kirche ruckelte. War die Marienkirche, due Bürgerkirche mit einem großartigen Altar von Jan Bornemann aus Flandern. Spricht für die Meisterschaft des Künstlers und den Reichtum der Stadt, wenn der Rat 1520 sich in Flandern solch einen Flügelaltar bestellt.

Das Werk Jan Bornemanns beeindruckt durch die Vielfalt seiner Figuren und ihre Individualität. Deshalb möchte ich es der Renaissance zuordnen. Begeistert bin ich auch von den Frauen und Männer, die dafür sorgen, dass die Kirchen offen bleiben. Die Kirchenhüterin machte mich auf das Triumphkreuz aufmerksam. Es ist doppelt ungewöhnlich: nicht angemalt, sondern von Anfang an naturbelassen. Wirkt da der Humanismus schon? Außerdem stehen neben Johannes und Maria noch Adam und Eva. Das Heil erinnert an die Erlösungsbedürftigkeit des Meschen. Klingt für mich reformatorisch.

Triumphkreuz in Marien zu Güstrow

Dann eilte ich in den Radschuhen rasch zum Dom, überließ die Radtasche freundlichen Hüterinnen und durfte endlich den Schwebenden von Barlach sehen. Danach hatte ich mich schon lange gesehnt. Mich berührte nicht nur die Idee des Kunstwerks zum Trost und Gedenken der Opfer des 1. Weltkrieges, den Mut der Pfarrer diese Kunst zu wagen, sondern auch der Akt der Zerstörung durch Faschisten in Kirche und damaligen Staat. Eingeschmolzen. Barlach starb 1938. Nach dem Krieg wurde die Figur für Köln und Güstrow, wo der Künstler lebte wieder gegossen.

Beeindruckend fand ich das Grabmal eines Mecklenburger Fürsten, der die Reformation hier einführte und dessen 2. Frau, eine dänische Prinzessin die Wohlfahrt des Landes sehr am Herzen lag. Sie liest in der Bibel als Zeichen ihrer Frömmigkeit und Gerechtigkeit. Ihr Vorname ist Sophia.

Dann blieb mir noch etwas Zeit, um mich in einem Café aufzuwärmen und umzuziehen, dann radelte ich zum Bahnhof Güstrow. Im Zug nach Berlin traf ich einen anderen Radler und wir kamen ins Gespräch. Eine wunderbare Begegnung, denn Martin Schulz ist Deutschlands einziger Fahrradkantor. Er arbeitet freiberuflich und spielt in den Sommermonaten viele Konzerte. Zu den Konzerten fährt er immer mit dem Rad. Beeindruckend und super fit. Solche Bekanntschaften macht man nur auf dem Rad oder in der Bahn.

In Berlin machte ich mit meiner Frau einen Spaziergang durch Berlin Mitte. Am Brandenburger Tor erinnerten russische Aktivisten an politische Gefangene in diesem Land. Traurig und wichtig daran zu erinnern!